Nichts wissen wir über die größte Ausgrabungsstätte des alten Andenhochlandes in der Nähe von La Paz. Eine Stadt, erbaut von Giganten, ehemals am Ufer des seitdem zurückgegangenen Titicacasees, zweifellos eine der Wurzeln der Zivilisation Südamerikas. Zur Zeit der Spanier unterschied man nicht zwischen Peru und Bolivien, letzteres wurde Oberperu genannt und in den frühen geschichtlichen Zeiträumen und Zusammenhängen gab es keinen Unterscheid zwischen den Länder. Tiahuanaco ist also Erbe beider Länder, ist Mutter der peruanischen Zivilisationen. Hier im Hochland lag eine Hauptstadt, zu der die an der Küste gelegenen Völker aufblickten, sich ihr wahrscheinlich tributpflichtig fühlten, sich ihr unterworfen hatten. Bis in die Inkazeit hatte die Stadt Bedeutung, allerdings fanden die Inka nur ihre Ruinen vor und zogen sie als Geschichtsfälschung in ihre Mythen mit ein.
Der deutsch-bolivianer Arthur Poznansky war der erste, der die Ruinen freilegte, sie schützte, und sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte. Angefeindet, weil kein Archäologe, hat er sich große Verdienste erworben um das Wissen von Tiahuanaco. Auch der Amerikaner Wendell Bennet grub ab 1932 an der Stadt im Andenhochland, er legte große Statuen frei, die Anlage der Stadt nahm Gestalt an. Heute sind es vor allem die Acapanapyramide, vor der eine Jaguarfigur gefunden wurde, und der vertiefte Tempel vor der Kalassaya-Anlage mit dem Sonnentor, welche den Besucher anziehen. Auch wenn es nicht ursprünglich an diesem Ort gestanden hat, ist das Sonnentor mit seinen Reliefs eines der bedeutendsten Kunstwerke des frühen Amerika.
Warum der tiefe Tempel gebaut wurde, wozu er gedient haben mag, wann er erbaut wurde, ist unbekannt. Steinerne Köpfe schauen aus den Wänden, handelt es sich um Opfer, Feinde oder Gefangene? In der Hofmitte steht eine mit einer gezackten Schlange versehene Steele, ein Symbol des Lebens, der Tempel steht mit der Kalassayaanlage in Verbindung, seine Vertiefung ist vielleicht eine Art Unterwelt im Gegensatz zur hohen Terrasse mit diversen Altären, eine Art Negativ.
Unglaublich die bis zu hundert Tonnen schweren Thron- oder Altarblöcke im Bereich des Pumatores. Grandios behauene Steine von ägyptischer Qualität liegen weit abseits der anderen Kultstätten. Liegt hier die älteste Anlage der Stadt? Viermal soll die Stadt neu erbaut und verlassen worden sein, angeblich ist sie im 12- 15 Jahrhundert v.Chr. gegründet worden, aber da jedes schriftliche Zeugnis fehlt, werden wir das Rätsel um die gewaltigste Stadt des frühen Amerika nicht lösen können. Der gestiegene Wasserpegel des Titicacasees soll an einer der Zerstörungen schuld gewesen sein, vielleicht trug sein Zurückweichen schließlich zum Untergang der Stadt bei. Man steht und staunt und wundert sich, warum Machu Picchu so berühmt ist, aber an den größten Ruinen des alten Hochlandes so gut wie kein Bus zu stehen kommt…