Nepal, 10 Monate nach dem Erdbeben

Soll man oder soll man nicht nach Nepal fahren, kein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben? Trümmertourismus ist sicher eine der unangebrachtesten Reiseformen, auf der anderen Seite braucht Nepal gerade jetzt die dringend benötigten Devisen. Der Reisediwan war unterwegs im Katmandutal und hat erschütterndes aber auch viel erfreuliches an Eindrücken gewinnen dürfen.

Durbarplatz in Patan vor dem Himalaya

Durbarplatz in Patan vor dem Himalaya

Schon im Flugzeug merkt man, dass der Tourismus zurzeit brach liegt im Lande von Yak und Yeti. Kaum Ausländer, fast ausschließlich Nepalesen, welche sich unsicher und unbeholfen ihre Plätze suchen. Am seit Jahren schon völlig überforderten Flughafen, einem der schlimmsten in Asien, geht die Passkontrolle sehr rasch vonstatten, die Gepäckabfertigung aber erinnert an den Senegal und ist ein eigentlich völlig überflüssiges Chaos.

Da ich das Dwarika als Ausgangsbasis gewählt habe, können wir uns davon überzeugen, dass dieses Kleinod der nepalesischen Hotellerie Gott sei Dank die Schrecken unbeschadet überstanden hat. Die wunderbaren Balkone, Fenster und Schnitzereien sind unversehrt, der Charme des Hotels macht vieles wett, eine Oase der Ruhe im totalen Verkehrschaos der Stadt.

Oase in Katmandu, Hotel Dwarika

Oase in Katmandu, Hotel Dwarika

Seit Monaten der indischen Grenzblockade ist Benzin immer noch Mangelware, lange Reihen von Motorrädern und endlosen Bussen warten geduldig an den Tankstellen, trotzdem aber ist das Gewühl auf den Straßen nicht geringer, Stoßstange an Stoßstange wälzen sich die Automassen in alle Richtungen, endlose Motorräder bezwingen mit akrobatischen Übungen das alltägliche Tohuwabohu. Varanasi wird uns als wahre Erholung vorkommen nach diesen nicht zu beschreibenden Eindrücken.

Unmenschlicher Verkehr in Katmandu

Unmenschlicher Verkehr in Katmandu

Unser erster Besuch galt Pashupatinath, der heiligen Verbrennungsstätte am Bagwatifluß. Hell lodern die Scheiterhaufen der Verbrennungsplätze, es ist gerade Hochbetrieb an den Ghats. Affen toben herum, die endlosen Schreine der Sati-Witwen stehen wie immer, Heilige und Scheinheilige sitzen an den Schreinen wie eh und je und alle erwarten mit Freude das große Fest des Shiva zum nächsten Vollmond. Von der über der Anlage liegenden Terrasse macht Pashupatinath Gott sei Dank einen absolut normalen Eindruck, nur an den Pilgerherbergen sieht man gewaltige Rissen und einige Abstützungen.

Verbrennungsplatz der Hindus, Pashupatinath

Verbrennungsplatz der Hindus, Pashupatinath

Patan ist da schwerer betroffen, eine der drei alten Königsstädte im Tal von Katmandu. Auf ihren Säulen fehlt der Mallakönig, einige kleine Heiligtümer liegen in Trümmern, Palast und Museum aber sind unversehrt und im Ganzen macht die Stadt keinen sehr zerstörten Eindruck, in den Hintergassen mag es anders aussehen aber die Hauptmonumente haben zum großen Teil überlebt.

Durbarplatz von Patan

Durbarplatz von Patan

Schlimm hingegen hat es den Durbarplatz von Katmandu getroffen, am alten Palast fehlen ganze Wände, Abstützungen halten den Rest mühselig aufrecht, Risse zeigen sich in dem im Kolonialstil gehaltenen Repräsentationsbau der nepalesischen Könige. Vishnus Haus vor dem Palast der Kumara ist verschwunden, Garuda wartet umsonst auf seinen Herrn, Kumaris Bau muss abgestützt werden und die ja inzwischen sowieso überflüssig gewordene Schutzherrin des Königshauses wird sich wohl oder übel einen anderen Beruf suchen müssen. Krishna ist ohne Bleibe, drei weitere Tempel sind nur noch Schutt, vor allem aber die alte Holzhalle als Mittelpunkt des Katmandutals, die Kastamandapa, ist dem Erdboden gleichgemacht, kein Ziegel und kein Balken sind übrig von ihrer einst düsteren Pracht.

Hanuman Dhoka, der alte Palast von Katmandu

Hanuman Dhoka, der alte Palast von Katmandu

 Der grausame schwarze Bayrava lebt und speit Wut und Zorn auf die unzähligen Tauben, die drei-oder vierfach übereinanderliegenden Tempeldächer des Hauptplatzes sind intakt, besetzt vom Taubenvolk, aber der Sitz des Mallakönigs ist nicht mehr, eine leere Säule neben dem abgestürzten Thronsockel erinnert daran, wir der König auf weichem Kissen den Platz einst überblickte. Krishnas Heiligtum ist vom Boden verschluckt, Ziegelhaufen allerorts, die Trümmer der ersten Stunden sind weggeräumt, aber es wird lange dauern, bis die Altstadt von Katmandu wieder ihr ursprüngliches Aussehen wiedererlangt.

Bayrava, der zornige Shiva

Bayrava, der zornige Shiva

Bodnath hat es schlimm getroffen. Der edle Stupa ist nur noch ein trauriger Abklatsch seiner selbst, der berühmte Aufbau fehlt völlig, die Augen des Ewigen sind erloschen, die Reliquienkammer und der Ehrenschirm sind eingestürzt. Trotzdem bewegen sich die Tibeter im Uhrzeigersinn wie he und je um das Heiligtum, ihr Glaube ist unerschütterlich, ihnen sind Besitz und Materie sowieso nur Lug und Trug, sie wissen um die Vergänglichkeit alles Irdischen. Es wird bereits wieder aufgebaut aber natürlich wird der Platz nie wieder so sein wie vor dem Beben vom April 2015.

Der berühmte Aufsatz mit en Augen fehlt

Der berühmte Aufsatz mit en Augen fehlt

Bakhtapur, einst edle Königin unter den Städten der Malladynastie, ist noch und ist doch nicht mehr. Ganze Straßenzüge sind verschwunden, Innenwände blicken hohl auf die wenigen Besucher. Am Durbarplatz fehlt ein ganzer Tempel, Risse im Turm eines anderen lassen vermuten, dass die letzten Einstürze noch nicht die letzten waren. Die Pyramidenwächter an diversen Stellen bewachen leere Plattformen, späte Tempel sind abgetragen von der Wucht des Bebens. Am Töpfermarkt überall Schutt, nur am Taumadi Tole hat sich kaum etwas geändert, der schöne alte Nyatapolatempel steht und auch am Tachupal Tole Platz finden wir wenige Schäden, das berühmte Haus des Pfauenfensters hat berlebt und in den Gassen warten Souvenirhändler verzweifelt auf Kunden. Manch Umweg ist notwendig, die Plätze zu erreichen, mussten doch ganze Straßen abgesperrt werden, überall droht weiterhin Einsturzgefahr.

Wie nach einem Krieg, Bakhtapur

Wie nach einem Krieg, Bakhtapur

Swayambonath als Abschluss, das Abendlicht legt sich ganz zart und fast unbemerkt auf den Stupa. Seine Augen blicken auf ein unvorstellbares Chaos, auf eine Stadt, die im Müll erstickt und im Verkehr ersäuft. Aber an diesem Stupa, trotz der Risse an den alten Gebäuden, welche ihn umlagern, ist das alte Nepal noch zu spüren. Affen überall, kein Tourist weit und breit, eine eigenartige Erfahrung an diesem sonst vielbesuchten Ort. Ein Fernsehreporter interviewt mich, möchte wissen, was wir von diesem Orte halten. Was soll man ihnen antworten, wissend, dass die Hilfsgüter noch ewig auf sich warten lassen, dass die Regierung hoffnungslos überfordert ist und sich in Nepal auf lange, lange Zeit nichts zum Guten wenden wird.

Der große Stupa von Swayambunath hat überlebt

Der große Stupa von Swayambunath hat überlebt

 

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