Seit Jahren passiere ich den kleinen Ort Bali auf dem Wege nach Ranakpur und habe nie geahnt, dass hier ganz in der Nähe eine der wunderbarsten Landschaften Indiens versteckt liegt. Fast so schön wie die Granitlandschaft von Vijayanagar tief unten im Süden, bizarrste Felsformationen, jeder Regisseur würde sich die Finger danach lecken. Auf Seitenstraßen zum Mount Abu gibt es Andeutungen dieser Fantasiewelten, aber nie bin ich wirklich tief eingedrungen in diese außerirdischen Schönheiten.
Jawai, das ist der Name eines in den dreißiger Jahren während einer großen Dürre vom Hause Jodhpur angelegten Staudammes, Treffpunkt unzähliger Wasservögel wie Kormorane, Stelzenläufer, Löffler, Kraniche, Schnepfen als Wintergäste und ab und zu sogar Flamingos, auch Sauruskraniche werden immer wieder gesichtet. Die Pyramidenartigen Berge spiegeln sich in den Fluten, im Morast streifen Ziegen und Kühe durch die Gegend, Felder beginnen unmittelbar am Ufer, die Fruchtbarkeit der Landschaft ist allgegenwärtig, trotz aller so feindlich erscheinenden Granitformationen.
Jawai aber hat auch den Namen gegeben für Indiens neuestes Luxuscamp inmitten dieser gelben Graslandschaft, weiße Kanvaszelte mit Safristyle- Ausrüstung, eleganteste Lounges und Restaurants, gediegenste Blumenarrangements (nicht ganz echt) und edle Safarilampen, Infinitipool und ein stählerner Leopard laden ein zu Muße in mitten eines der friedlichsten Landstriche Indiens. Zwar hört man in der Ferne ab und zu die Eisenbahnen brüllen und tuten, aber insgesamt könnte man meinen allein auf der Welt zu sein, würde nicht ab und zu ein stolzer Hirte des Ribaristammes unsere Wege kreuzen.
Man hat von Afrika gelernt, statt stolzer Massai als Wächter der dortigen Camps hat man die örtlichen Ribari mit ihren leuchtend roten Turbanen gewinnen können, schon gleich zur Begrüßung reicht einem ein Fürst mit edlem Antlitz einen Willkommenstrunk, seine bestickten Beinkleider sind ebenso schön wie die unglaublichen Schnurbärte und die goldenen Ohrringe. Seit Jahrhunderten ziehen die Ribari als Nomaden durch Rajasthan und das Gujarat, laden ihre Kinder, Ziegen und Habseligkeiten auf ihre großen Kamele und durchstreifen Indiens Norden.
Gelockt wird der das außergewöhnliche suchende Reisende aber nicht durch die Ribari, nicht durch das Camp und nicht durch die bizarre Landschaft. Es sind die Leoparden, welche hier in unmittelbarer Nähe der kleinen Siedlungen in den Felshöhlen leben. Pfauen und wilde Hunde als bevorzugte Beute laufen überall herum, Futter gibt es also genug und Ziegen (meistens) und die kleinen Kinder und Bauern sind sicher vor den schönen und edlen Katzen.
Im goldgelben Nachmittagslicht, wo die Felsen eben diese Farbe annehmen, wird es sehr schwer, die gut getarnten Raubtiere auszumachen und so bleiben unsere ersten Versuche, den Leoparden aufzuspüren, eher fruchtlos. Es ist bereits dunkel, als der Fahrer eines anderen Jeeps per Funk bekannt gibt, dass sich ein Leopard aufmacht, in die Nacht zu stolzieren, im Licht der Scheinwerfer wird die in der Ferne über die Felsen streifende Katze sichtbar.
Morgensafari in Herrgottsfrühe, die Pfauen jagen und rufen, versuchen sich im Balztanz, lauern noch sicher vor den Tieren der Nacht auf ihren Schlafbäumen. Nirgends lässt sich der Leopard blicken, nur unzählige Sittiche veranstalten großes Geschrei, Bülbüls fliegen aufgeregt der Sonne entgegen, und außer diesen Kleinodien der Natur bringt nur das gute Frühstück mit Wüstenblick Entschädigung für die abgebrochene Nacht. Was soll man dann sagen, wenn am Nachmittag tatsächlich, gut sichtbar und trotzdem großartig getarnt, der stolze Herr der Felsen sich blicken lässt, schnurrig-schlafend am Beginn, langsam erwachend und sich mehrmals um sich selber drehend dann im Laufe der Stunde, welche es uns vergönnt ist, ihn in aller Ruhe und aus relativ weitem Abstand von ca. 500 Metern zu beobachten. Auch er hat uns gesehen, zeigt darüber allerdings weniger Enthusiasmus als wir ihm gegenüber zu Tage legen. Drei Leoparden durchstreifen zurzeit das Gebiet von Jawai, zwei davon durften wir sehen. Mehr kann man nicht verlangen in diesem kleinen verborgenen Paradies der Ribari, in dieser Landschaft, die für mich zu den schönsten des Landes gehört und die ich hoffentlich das Glück haben werde, sie noch möglichst oft aufsuchen zu dürfen. (Die nächsten Reisen sind fest geplant, Privattermine sind jederzeit möglich, es gibt also keinen Grund mehr, sich dieses kleine Stück Erde entgehen zu lassen…)