Den Kaukasus kennt man nur aus der Literatur. Räuber, Überfälle, Kriege und düstere Wälder. Raubgebiet für orientalische Fürsten, die hier armenische und georgische Kinder für ihren Harem klaubten. In heutiger Zeit die Negativschlagzeilen über Dagestan, Ossetien, Abchasien oder gar Tschetschenien, Randgebiete und russischer Kaukasus. Und somit käme niemand auf die Idee, in den Kaukasus zu fahren.
Ganz falsch. Der Kaukasus ist ein Landschaftswunder, Urwälder bis an den Himmel, darüber schneebedeckte Fünftausender, unglaubliche Kirchen und Klöster mitsamt den dazugehörigen Kirchenschätzen. Fresken bis unter die Kuppel, wundersame Steinmetzarbeiten, Kreuzsteine vom Feinsten. Das alles kann man in Georgien und Armenien gefahrlos bewundern. Ich war oft in beiden Ländern und bin jedes Mal wieder begeistert. Aber immer, wenn mir jemand erzählt, er sei auch in Georgien gewesen, hacke ich nach und frage; Auch in Svanetien? Und die Antwort lautet immer auf Nein.
Svanetien ist eine ehemals unbesuchbare Region im Hochkaukasus an der Grenze zu Russland. Erst langsam öffnet sie sich dem Reisenden, erst allmählich bessern sich die Straßen, werden die Gasthäuser erweitert und Hotels gebaut. Die winzigen Kirchen sind oft geschlossen, nicht immer ist der Schlüssel auffindbar. Die Bewohner sind nicht gerade herzlich, wenn man sich in ihren Dörfern blicken lässt, große Hunde kläffen um die Wette.
Aber wenn man zum ersten Mal in seinem Leben den Blick auf die eng an eng stehenden Wehrtürme erleben darf, dann lohnt sich jede Mühe. Man sucht nach Vergleichen, San Gimignano, der Jemen, aber Svanetiens Türme und Dörfer sind anders. Sie sind nicht zum Wohnen gedacht, auch nicht aus Angebe errichtet worden, sondern sie sollen nur in Notzeiten und Überfällen ihre Bewohner schützen. Blutrache war hier im abgelegenen Bergland an der Tagesordnung, Stammesfehden regelmässige Erscheinungen, und da man nicht in die feindlichen Täler flüchten konnte beugte man eben auf diese Art vor.
Im Schatten der Fünftausender, an reissenden Flüssen gelegen und oft nur über brüchige Brücken erreichbar, beherbergen sie kleine, aus dem 9ten bis 11ten Jahrhundert stammende Christentempel von großer Schönheit, Ihre Kirchen sind von oben bis unten naiv ausgemalt, der Pantokrator nimmt die Apsis ein, meist kämpft der heilige Georg gegen Diokletian und Heilige mit riesigen Augen blicken in das fast totale Dunkel.
Seitlich angefügt findet sich oft ein kleiner überdachter Raum, Reste von Fresken finden sich an den Aussenmauern, Tierköpfe wirken wie heidnische Objekte. Jede dieser Kirchen geht unter die Haut. Jeder Moment in Svanetien ist ein eintauchen in eine längst vergessen geglaubte Welt!