Gott ist nicht männlich, Gott ist nicht weiblich, Gott ist das männlich-weibliche Prinzip. Im Transhimalaya liegt der Sitz der Götter, der Palast Shivas, der Kailash. Dieses Schneejuwel ist 6638 Meter hoch und für die Buddhisten aus aller Welt, den Hindus, den Jain und selbst den Sikhs der heiligste Ort schlechthin. Er ist das männliche Symbol der Götter, 50 Kilometer entfernt liegt sein weibliches Gegenstück, der Mansarovarsee. Beide zumindest einmal im Leben zu umschreiten ist der größte Wunsch der Asiaten.
Wer sich mit Hinduismus und Buddhismus beschäftigt, kommt also um den Kailash nicht herum. Oder eben doch, im wahrsten Sinne des Wortes. Und so beginnen auch wir die heilige Kora, den Pilgerweg um den Nabel der Welt. Die Berge sehen anfangs aus wie alte Königssitze, die Sonne spielt mit Schnee und Nebel, Ganesha wird sichtbar, Fantasiegestalten in Stein und Wolken. Man ahnt den Berg, aber sieht ihn nicht, nur ab und an wähnt man seine Spitze zwischen Wolken. Die letzten Meter gehen langsam in die Höhe, man pustet wie ein altes Walross, aber es ist keine wirklich große Anstrengung nötig, bevor wir am primitiven Gasthaus ankommen, 14 Kilometer sind zurückgelegt, es ist früher Nachmittag.
Das Rasthaus ist so kalt, dass der Schnee bis zum nächsten morgen nicht von den Stiefeln geschmolzen ist. Fünf Betten stehen in dem betonierten Raum, die Toiletten sind genauso ekelig wie fast überall im Lande. Da heißt es, Zähne zusammenbeißen und durchhalten, zu tun gibt es nicht viel, aber immer wieder suchen wir nach dem Blick auf den heiligen Berg. Und seine Bergmajestät lässt sich tatsächlich am Abend aus der Reserve locken….
Nachdem wir aus hygienischen Gründen nur eine Instant-Nudelsuppe gegessen und Literweise Tee vertilgt haben, steigen wir dem langsam sichtbar werdenden Göttersitz entgegen. Auf einer kleinen Kuppe steht ein einsamer Tschörten, eine kleine Manumauer, Gebetsfahnen schlagen heftig im Wind. Und die Wolken sehen aus wie heransprengende Götter, die Sonne spielt mit Wolken und Bergen, der Himmel baut sich zu einer sagenhaften Kulisse auf, es ist wie im Film. So mächtig, so eindrucksvoll, so mystisch hat man sich den Kailash nicht vorgestellt, der erste Tag ist ein großartiges Erlebnis.
Ein klarer Himmel am ganz frühen Morgen, die riesige Venus weist uns den Weg, die ersten zaghaften Lichter beleuchten die Spitze des heiligen Weltnabels, dann erleuchtet die Sonne ihm golden die Spitze. Staunend und nach Luft ringend, mit erfrorenen Händen und Füßen kämpft man sich zum Dolma-La Pass vor, 5600 Meter sind kein Kinderspiel, unsere Grenzen sind nicht nur erreicht, sondern überschritten. Aber wie haben es geschafft, Kailash, der Traum ist wahr geworden!