Natürlich sind wir aus Anlass des Hornbill-Festivals gekommen aber neben den Trachten und den Tänzen interessieren uns vor allem die Dörfer. Was ist übrig von den traditionellen Stammeshäusern, Initiationsgebäuden und den Holzschnitzereien, Büffelköpfen über den Türen und den Kriegstrommeln und Reisspeichern? Erstaunlicherweise viel mehr als erwartet und unsere erste Begegnung mit einem unverfälschten Nagadorf ist nicht weit von Kohima in Kigwema.
Verteidigungsgründen liegen Nagadörfer immer auf einem Hügel so dass die umliegenden Hügel und Reisfelder mit den Terrassen gut überschaubar sind. Der Terrassenanbau kann hier mit Bali oder den Philippinen mithalten, endlos ziehe die weiten und gelb leuchtenden Felder sich zwischen üppigem Grün hin, auf den Bergkuppen liegen intakte Wälder, trotz der überall vor den Hütten lagernden Brennholzstapel. Man schlägt hier die Bäume nicht nieder, sondern stutzt sie zurecht so dass armdicke Zweige neu ausschießen können, die auch der nächsten Wintergeneration genügend Holz liefern, eine Methode, welche in Laos oder Thailand ganze Wälder gerettet hätte.
Traditionelle aber heute funktionslose Tore mit Kriegern und Sonne – Mond Motiven finden wir in all diesen Dörfern, in Kigwema fallen aber zuerst die endlosen Bleckwände und Blechdächer auf, nirgends mehr die schönen aber brangefährdeten Strohdächer, welche auf alten Bildern zu sehen sind und in Kohima das Vorzeigemischdorf der Nagakulturen zieren. Trotzdem aber hat das Dorf einen großen Reiz, vor den Fenstern hängt bunte Wäsche, im Hintergrund bilden die Berge einen malerischen Rahmen und es dauert nicht lange, da haben wir durch die engen, Steinmauergesäumten Gassen mit ihrer rot-weißen Bemalung einen kleinen Platz erreicht, an dem uralte Häuser stehen, welche auf ihren Fassaden endlose Stierköpfe, Holzgeschnitzt oder aber über dem Türpfosten als echte Stierschädel präsentieren.
Archaisch muten uns diese Familiensitze an, deren Besitzer erst nach fünf Dorffesten, welche von ihm ausgerichtet wurden, die Erlaubnis erhält, solche Prunkhäuser zu errichten, d.h. er muss über einen gewissen Reichtum verfügen, um solche Pracht zur Schau stellen zu dürfen. Vor diesen Häusern liegen kleine, von niedrigen Steinen und Steinstühlen umstellten Festplätze, auf denen alte Männer ihre Zigarette rauchen, Kinder spielen und die Dorfjugend einen entzückenden Tannenbaum aufstellt, es weihnachtet im Nagaland, die Missionare der Baptisten haben alle Arbeit geleistet, Nagaland ist heute zu 90 Prozent Christlich.
Riesige Reisspeicher und eine uralte Kriegstrommel teilen sich den Staub und den Moder der Vergangenheit, wir aber sind vor allem von den witzigen Kindern begeistert, die sich scheu hinter ihren Geschwistern verstecken, als sie uns entdecken.Interessant zu beobachten, dass im Vorzeigedorf von Khonoma die Kinder ganz anders aussehen, eher Chinesisch, mit ganz anderen Augen und ganz anderen schmalen Figuren. Khonoma war in den ersten Kriegen mit den Engländern ein gefürchtetes Widerstandsnest, der Anführer des englischen Expeditionscorps, Damant, kam hier 1879 zu Tode. Eine kleine Festung und eine hohe, das ganze aufgeräumte Dorf umschließende Mauer zeugen von der widerspenstigen Einstellung der Bewohner, aber gegen die Missionare scheinen sie sich nicht gewehrt zu haben, mehrere große Kirchen stehen als feste Burgen inmitten der kleinen Häuser.
Überall im Nagaland stoßen wir auf Steinreihen, kleine Megalithen, welche sich in Richtung auf einen größeren Stein in ihrer Höhe anpassen. Ob dieses Gräber, Heldensteine oder gar Kalender waren, kann man uns nicht mehr sagen, aber die Missionare haben sich dieser Megalithkultur anpassen müssen, überall sieht man inmitten der Dörfer die Gräber Verstorbener in unmittelbarer Hausnähe, Friedhöfe scheinen im Nagaland unbekannt zu sein. Ob aber diese Steinreihen mit dem Totenkult zu tun haben wie auf Sulawesi steht für uns noch in den Sternen.So gut wie nichts ist veröffentlicht oder erforscht worden über das Nagaland, der Wissenschaft steht da noch viel Spannendes ins Haus.
In einem kleinen Wald außerhalb von Kohnoma stehen zwei gewaltige Megalithen vor uralten Bäumen, ein Zugang zu einer verschwundenen geheimnisvollen Welt. Der eine Stein weist deutlich Gesichtszüge auf, den anderen haben Flechten zu einem wahren Kunstwerk umgestaltet. Man möchte den überwachsenen Pfaden folgen und den Geheimnissen dieser Megalithkultur nachgehen, alles erinnert ein bisschen an das indonesische Torajaland, angefangen natürlich bei den Häusern mit ihren Büffelschädeln, aber eben auch den gediegenen Reisfeldern und den geschwungenen Hausdächern und eben der Megalithkultur.
Jakhama ist das interessanteste der Nagadörfer, hier sind die Kultplätze noch interessanter und ein Morung, ein echtes und uraltes Jugendhaus ist hier die Hauptattraktion. Kultgegenstände und Schädel schmücken die Fassade, ein Kopfloser ziert den Giebel, Reisspeicher stehen um eine uralte Feuerstelle, ein unheimlicher Platz der auffordert, tiefer einzudringen in die Nagalande, vielleicht die jetzt offene Grenze zu Burma zu überschreiten und das geteilte Nagaland auch auf der anderen Seite kennenzulernen. Immerhin habe ich die ersten Spuren der Nagakultur auf dem Nachtmarkt von Chiang Mai entdeckt, Mitbringsel in Form von Federhauben aus dem burmesischen Nagaland.
Wie in Kigwema begegnen wir fröhlichen und aufgeschlossenen Menschen, ein junger Mann lässt uns vom Honig probieren, den er ohne Imkerschutz aus seinem Bienenstock nimmt, Frauen bereiten das Essen für eine Hochzeit vor, mitten auf der Straße, eine uralte Dame verblüfft durch ihre einwandfreien Englischkenntnisse. Die Kinder rennen weg als sie uns sehen, es scheint nicht oft vorzukommen, dass sich Ausländer hierher verirren. Nagaland, du warst eine große Bereicherung, und ich bin ganz sicher, die wirkliche Reise in das Reich der Schlangenmenschen liegt noch vor mir!