Bubaneshvar, Platz des Shiva, heißt die Hauptstadt von Odisha. Ehemals eine der bedeutendsten Handels- und Hafenstädte Indiens, birgst sie unzählige Kunstschätze ihrer Glanzzeit aus dem 1 Jhd. vor Christie bis in das zwölfte Jahrhundert. Mutter aller indischen Höhlenskulpturen, Mutter Angkors, ohne die Künstler von Bubaneshwar wären die Tempel der frühen Periode von Angkor nie entstanden.
Die am Rande der Stadt an einem riesigen Steinbruch gelegenen Höhlen von Udaygiri weisen die ersten indischen Skulpturen an einer Felshöhle auf, zaghafte Versuche, welche bereits die wichtigsten Merkmale der indischen Kunst aufweisen. Tanzmädchen in schwungvollen Posen, König Karavala und seine Gemahlin, Elefanten beim Bade und die vor ihnen flüchtenden Frauen, die Zellen der Eremiten sind mit schönen Bögen geschmückt, Ajanta und Ellora haben hier ihre Vorbilder.
Rührend der an den Höhlen liegende Hindutempel mit seinen naiven Malereien, von den Inkarnationen Vishnuns bis zu Bilder von Shiva, Krishna und Jagannath ist alles vorhanden, was der einfache Volkshinduismus hergibt. Eigenartig, dass sich die heutigen Künstler mit so wenig zufrieden geben, wenn die Vorbilder für ihre Kunst ganz in der Nähe so großartiges aufweisen. Aber der Rückgang in der Kunst ist ja keine indische Spezialität, auch bei uns erreicht niemand die Großartigkeit der Werke der Romanik. Für mich aber eignen sich die naiven Wandbilder, den Hinduismus auf einfache Art und Weise zu erklären.
Der wahre Schatz von Bubaneshvar aber liegt in den fünfhundert Tempeln in der Altstadt selber. Hier muss man auch den kleinsten Schrein zählen, um auf diese Summe zu kommen, aber ein Blick über den für uns nicht zugänglichen Lingaraja-Tempel zeigt, dass es sich tatsächlich um unzählige Schreine handelt. Eine Tempelstadt wie im alten Ägypten, Schreine über Schreine umgeben von einer großen Mauer, der Heilige See war unser Begleiter zu diesem faszinierenden Dschungel aus Stein. Die Athospäre ist großartig, allerdings sind viel weniger Menschen unterwegs als in Puri.
Der wohl wichtigste Kleintempel der Stadt ist der Vitalatampel mit seinen so wundervollen Reliefs. Hier ist ganz großes Können im Spiel, hier finden wir die Mutter von Bantei Srei bei Angkor, feiner und raffinierter geht es in Asiens nirgend zu. Kaufleute brachten den Hinduismus von Odihsa über Java nach Kambodscha und es scheint, dass man auch Künstler aus Odisha anforderte, die Ähnlichkeit der Reliefs jedenfalls scheint dieses zu bestätigen. Nirgends gibt es so feine Reliefs, so viele komplzierte Details, spring dem Betrachter soviel Schönheit ins Auge. Ein Kunstgenuss par Excellence!
Bhuba Ishvara, der Platz des Shiva, da nimmt es nicht Wunder, dass die meisten Tempel dem Shiva geweiht sind. In seinem ersten Heiligtum, dem Parsurameshwar, zeigt sich der Tempelturm von unglaublicher Schönheit, Götter blicken aus den Fenstern, Ganesha und endlich auch einmal Shivas anderer Sohn Skanda auf seinem Pfau zieren den Turmsockel. Parvati in all ihren diversen Manifestationen ist ebenso gefragt wie Shiva als Mann-Weib. Die ein wenig später angebaute Tempelvorhalle ist ein Wunder an Detail und Ideenreichtum.
Tempel über Tempel, der Kenner Indiens wird zugeben, dass diese kleine und fast unbekannte Stadt gleich mehrere unglaubliche Kleinodien ihr Eigen nennt. Aber ihr Geheimnis scheint gut gewahrt, weit und breit sind wir die einzigen Besucher. Da staunt der Stier am See nicht schlecht, stoisch bewacht er den Heiligen See, in dessen Pavillon sich Lord Shiva in der heißesten Jahreszeit täglich ausruht und an dessen Ufern Toten- und Vishnutempel sich ein Stell-dich-ein geben. Zum ausruhen sind wir nicht gekommen an diesem Morgen, reich beschenkt aber wurden wir, der Reisediwan hat mit einem weiteren Wunder des indischen Subkontinents aufgewartet, wir sind begeistert!