Rausu, Hauptstadt der Adler
60 Kilometer nördlich der Notsuke Halbinsel liegt der kleine Fischereihafen von Rausu. Vor der Küste liegt endloses Packeis, dahinter die Kurillen, russisches Territorium seit Ende des zweiten Weltkrieges. Ende der Welt und im Sommer Zugang zum Shiretoko Weltnaturerbe und Nationalpark. Die dichteste Bärenkonzentration Japans und wohl auch der Welt findet sich hier, man spürt die Nähe zu Russisch- Fernost, Kamtschatka lässt grüßen. Zwar sehen die Fischerboote besser aus als in Russland, doch die Häuser auf dem Lande sind verwahrlost, traurig, marode. Doch gerade diese Gegend war eine der Hauptgründe unserer Winterreise, finden sich doch hier jeden Februar tausende von Stellerschen Riesenseeadlern ein, ein Spektakel, welches auf der Welt nicht seinesgleichen hat.
Morgens um 05.30 sticht unser kleines Boot in See, Finsternis überall, nur von der Küste leuchten ein paar Lampen herüber und zeigen den Uferverlauf. Das Packeis liegt wie ein grauer Schatte vor uns, das kleine Boot bewegt sich geradezu auf die eisige Fläche, stößt langsam zwischen die Eisschollen, die sich hinter dem Schiff sofort wieder schließen. Ein Schweinwerfer ist auf das Eis gerichtet, langsam treffen erste, wie immer laut schreiende Möwen ein, ein Weißschwanzseeadler, sonst lange Zeit nichts. Die Dämmerung bringt bessere Sicht auf dieses Endlos, sechs Kisten mit gefrorenem Fisch am Bug warten wohl darauf, die Adler und sonstige Kaltweltbewohner anzulocken. Und tatsächlich, nachdem einige Schollen schon mit dem dreckigen Fisch beschmutzt worden sind, finden sich langsam aber stetig die majestätischen Vögel ein, mit ihren rieseigen Krallen halten sie sich im Eis, mit Adleraugen erspähen sie ihre Beute und nach einer Stunde kann man ihre Zahl nur noch schätzen, ich zähle über dreißig Adler und unzählige Möwen und Raben.
Das auffliegen, abheben und landen eines Riesenseeadlers kenne ich nur aus Bildern und Filmen, Afrikanische Schreiseeadler und Amerikanische Weißkopfseeadler mögen imposant sein, der Stellersche Riesenseeadler übertrifft sie alle. In Größe, Eleganz und auch durch seinen gewaltigen Schnabel, den großen Krallen, der Spannweite der Flügel von fast drei Metern. Ein Vogel würdig des Zeus, ein Adler wie man ihn in Märchen und Sagen antrifft, hier wird dieses Bild Wirklichkeit, wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
In unmittelbarer Nachbarschaft dann die Weißschwanzseeadler, wunderschön aber gegen den Riesenbruder eben doch fast zu bemitleiden. König gegenüber dem Kaiser, edel aber eben doch nicht Herr der Lüfte.
Hindert die Anfütterung den natürlichen Jagdinstinkt der Adler? Wohl eher nicht, denn in Russisch- Fernost füttert sie niemand, und dort verbringen sie 10 Monate des Jahres. Hier können sie also offensichtlich etwas Winterspeck ansetzen und Energie sammeln für den Rückflug, außerdem wird nur vormittags gefüttert und den Rest des Tages verbringen die wunderbaren Vögel sicher jagend zwischen den Eisschollen. Und auch wenn National Geographic damit diese Bilder nicht als authentisch ansieht, sind es doch wilde Adler in ihrer natürlichen Umgebung, die wie das unglaubliche Glück hatten, sehen und aus nächster Nähe beobachten zu dürfen. Teil zwei der Mission is completed, fehlen nur noch die Schneeaffen und dann haben wir das gesehen, wovon ich seit vielen Jahren geträumt habe!