Die Halbinsel der Sitkahirsche
Zwei Tage hat uns der Schnee festgehalten, kein raus, kein rein, kein weiterfahren, dicke Schneedecken über dem Dorf. Aber dank des guten Essens und der kalten Spaziergänge haben wir überlebt und irgendwann hörte es tatsächlich auf zu Schneien. Schwäne allerdings gab es dank der hohen Schneemauern auch dann noch nicht zu sehen, somit machen wir uns auf Richtung Küste und erreichen bei Betsuke selbige und damit auch die Notsuke Halbinsel, eine Art Nehrung welche sich in das Meer halbmondförmig hinausschiebt. Kaputte Häuser, verlassene Hütten, alles sieht fast ein bisschen russisch aus.
Aber dann überschlagen sich die Erlebnisse. Erst ein paar, dann ein dutzend, dann hunderte von Sitkarehen, Hirschkühen, Hirschen, im Schnee nach Nahrung suchend, ein wunderbares Bild. Rotfüchse schleichen sich an, gar nicht scheu, auch die Hirsche scheinen Menschen gewöhnt zu sein, grasen sie doch unmittelbar an der Straße.
Ein abgestorbener Wald der japanischen Eichen bildet den malerischen Hintergrund zum Aufmarsch der Geweihfreunde, zarte Gräser ragen aus dem Schnee, an den Häusern liegen eingeschneite Schiffe und farbige Fischerkugeln liegen wie bunte Smarties im Schnee, Fischernetze liegen geborgen auf Betonpfeilern, links und rechts ist das Meer unter Eis und Schnee verborgen. Mit realer Welt hat diese eigenartige Landzunge wenig gemein, Weltenschmerz stellt sich ein, man ist tatsächlich irgendwie am Ende der Erde angelangt.
Der Strand, schwarz und mit schmutzigen Eisskulpturen übersät, hat merkwürdiges aufzuweisen. Unendliche farbige Seesterne aller Größen und merkwürdige fünfeckige Krustentiere liegen herum, dazwischen Tank und abgeschliffene Netzkugeln, schöne Steine aller Farbnuancen und immer wieder zauberhafte Kleinstlebewesen, angeschwemmt von der Flut, hingeworfen und zum Tode verurteilt von der Kraft der Natur.
Möwen kreischen, ein großer Trupp dackelähnlicher Pfeilschwanzenten mit bunten Gesichtern planscht wie aufgeschreckte Nonnen im Meer, Harlekinenten ziehen ihren Weg, ungestört und mit sich und der Welt zufrieden. Schrott und endlose Betontetrapoden weisen den Weg zu einem Leuchtturm, dahinter ist nur Fußgängern die weitere Exkursion erlaubt.
Stellersche Riesenseeadler thronen auf den Strommasten und scheinen sich über uns zu amüsieren, majestätisch und auch ein bisschen arrogant schauen sie auf uns herunter, ein Weißschwanzseeadler liegt im Gras auf der Lauer, ein Rotfuchs blickt aufs Meer hinaus und wir sind glücklich, dass wir dem Schnee entronnen sind. Notsuke, ein Fleckchen Erde, von dem wir nie gehört hatten, ein kleines Paradies, welches uns in Erinnerung bleiben wird. Aber wenn wir auch nur geahnt hätten, was der nächste Morgen bringen würde, hätten wir ganz bestimmt nicht so eifrig versucht, schon heute jeden Adler aufs Bild zu bekommen…