Von der glühend heißen Ebene von Delhi geht es in nur einer Stunde hinauf auf das Dach Indiens. Leh, die kleine Hauptstadt Ladakhs mit ihren nur 40000 Einwohnern, ist Ausgangspunkt für die großartigen Tempel entlang des majestätischen und urgewaltigen Indus, der sich hier seinen Weg sucht zwischen der Tibetischen Platte und der Indischen Platte.
Der alte Palast von Leh wurde von frühen Reisenden gerne mit dem Potala verglichen, hält aber weder von außen noch von innen diesem Vergleich stand. Zwar liegt er sehr schön über der verfallenen Altstadt von Leh, aber sein inneres kann absolut nichts Interessantes aufweisen. Nur ein winziger Privatschrein des Königs zeugt von alten Malereien. Hoch über dem Palast liegt im schönen Licht die kleine Schutzfestung, besonders vom Shanti Stupp aus ist sie schön zu sehen. Und von dort erblicken wir auch zum ersten Mal den gewaltigen Indus.
Leh ist dem Dalai Lama fast ein bisschen Heimat, da ihm Tibet ja auf ewig vorbehalten bleibt. Dass er nun mit uns gleichzeitig in Ladakh weilt ist natürlich ein großer Glücksfall, wir erblicken seine Heiligkeit auf dem Weg zur Hauptmoschee der Stadt. Er, dem Harmonie das wichtigste ist, lässt es sich nicht nehmen, jedes Mal bei seinen Besuchen auch den anderen Religionsgemeinden seine Aufwartung zu machen. Die ganze Bevölkerung ist auf den Beinen, die Frauen haben sich in ihre schönsten Gewänder gehüllt, sie werden versuchen, die Seidenschleifen in ihren Händen seiner Durchlaucht beim Verlassen der Moschee zu überreichen.
Zu diesem wunderbaren Tagesauftakt passt der anschließende Besuch in Likir, dem alten Hauptkloster der Gelbmützen, dessen offizielles Oberhaupt der Bruder des Dalai Lama ist. Zwar hat dieser sich längst zurückgezogen aber ein Kinderportrait findet sich auf seinem eigentlichen Thron in der Versammlungshalle. Die Umhänge der nicht anwesenden Klosterbrüder wirken wie lauschende Mönche, umgeben von den heiligen Schriften und unter den Augen der Buddhas und Bodhisattwas versammeln sie sich hier alltäglich zu ihren Gebeten.
Im ganzen Himalaya lässt sich kein Kloster finden, welches in seiner Kunst auch nur annähernd an Alchi heranreicht. Ungewöhnlich allein durch seine unspektakuläre Lage, die Holzschnitzereien der Fassade und seine Winzigkeit, überrascht die Haupthalle mit ihren drei großen Bodhisattwas jeden aufmerksamen Besucher. Nicht die Figuren in ihrer relativen Naivität, noch die unzähligen Buddhas welche in endlosen Reihen die Wände zieren, machen den Reiz des Klosters aus, sondern die unbeschreiblich feinen Malereien der Gewänder der Figur des Avalokiteshvara, welche den Besucher zur linken in der Halle empfängt.
Sind die Figuren selbst in der eher naiven Landestradition ausgeführt, kann man nur staunen über die Miniaturmalereien, welche endlose Bildergeschichten auf dem hauchdünnen Schurz des Bodhisattwa erzählen. Reiter in feuriger Pose, Mäzenen mit bärtigem Antlitz, zauberhafte Göttinnen mit Gesichtern, welche sich in ihrer Fein- und Schönheit nur mit den Bildern aus Ajanta vergleichen lassen. Was Sanchi für die buddhistische Bildhauerei ist, ist Alchi für die frühe buddhistische Malerei. Man kann sich wirklich nicht satt sehen an den Einzelheiten, ganze Bildbände dürften nicht ausreichen, den Schatz von Alchi deutlich zu machen. Wie schön, dass uns niemand gestört hat bei den Beobachtungen und Betrachtungen dieses Wunders menschlichen Könnens. Auch wenn es schade war, dass wir diese Bilder nicht fotografieren durften, aber dann hätten wir den Tempel tagelang nicht mehr verlassen können…