Wir sind also endlich angekommen im Lande der Kopfjäger. Auf fast 1500 Meter ist es so kalt in Koshima, dass wir nachts alles anziehen, was der Koffer hergibt. Unser Camp ist dabei wirklich ein Traum, unsere Zelte aus Kenia der absolute Luxus hier in einem Gebiet, welches vor kurzen von Ausländern nicht ohne Sondergenehmigung überhaupt betrete werden durfte und die Crew so herzlich und freundlich wie man es ich nur wünschen kann. Zweieinhalb Stunden dauerte die Fahrt von Dimapur, wo sich der einzige Flughafen des Nagalandes befindet, bis zum Camp, wir haben die Strecke im strömenden Regen zurückgelegt.
An die 40 Nagastämme teilen sich heute ihr Gebiet zwischen Indien und Myanmar. Ethnisch gehören sie ganz sicher nicht zu Indien, aber seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 hat man die Nagas nicht gefragt, wohin sie wollen und die Untergrundbewegung eines Freien Nagalandes ist nach wie vor nicht besiegt oder gar versiegt, die Militärpräsenz ist unübersehbar. Da sie als Kopfjäger bekannt waren, haben die Engländer dieses Gebiet fast gemieden und ihre Anwesenheit auf wenige Hauptstädte beschränkt, erst im Zweiten Weltkrieg fand das Nagaland Aufmerksamkeit, da man hier gegen die Japaner kämpfen musste, um Burma zu befreien. Leider überließ man es seit über 100 Jahren den Baptisten und ihren meist amerikanischen Missionaren, hier die alten Stammestraditionen zu zerstören. Und somit gibt es leider keine wirklichen Kopfjäger mehr im Nagaland.
Die Nagastämme sind für ihre opulenten Fruchtbarkeitsfeiern und ihre Kriegstänze und Gesänge berühmt und seit dem Jahre 2000 findet in Kozima das sogenannte Hornbill-Festival statt, eine Zusammenkunft vieler Stämme, welche nun in friedlicher Absicht ihre ehemals so gefürchteten Tänze aufführen. Prächtig anzuschauen in ihren Kostümen, Federn und mit ihren meist allerdings eher archaischen Waffen, erklingen ihre schauerlichen Gesänge bis zu unserem Camp herüber, wie schrecklich muss es für frühere Nicht-Stammesangehörige gewesen sein, einem in voller Montur auftauchenden Krieger im Urwald zu begegnen. Selbst wenn man weiß, dass diese wilden Gestalten nur zum Festival gekommen sind, bleibt der Respekt nicht aus. Ja, die Sache ist erst seit 15 Jahren wieder in Gang gekommen, es ist natürlich auch ein bisschen Touristisch aber hier zeigt sich auch, dass der Tourismus manchmal dazu beitragen kann, dass Traditionen nicht ganz verschwinden von unserer schönen Erde. Es sind erstaunlich wenig Besucher hier, die meisten sind aus Indien, Ausländer scheinen irgendwie zu sehr an ihren Köpfen zu hängen und meiden ja bekanntlich die Vorweihnachtszeit, da mann dann Kekse backen muss. Dabei würden sich die Enkel viel lieber die Geschichte der Kopfjäger anhören, zumindest falls die Großmutter mit selbigem zurückkehrten sollte.
Während die Wolken die nahen Berggipfel fast völlig einhüllen und die Sonne nur zaghaft durchscheint und die stolzen Krieger beleuchtet, stelle ich mir vor, wie es gewesen sein muss, wenn die Krieger (meist Einzeltäter) mit der begehrten Trophäe eines Feindkopfes in ihrem Dorfe auftauchten und mit lautem Gesang begrüßt wurden. Die Naga waren keine Schrumpfkopfhersteller und erbeuteten nicht etwa in jedem Kampf dutzende von Köpfen, aber sie glaubten, ihre Äcker nicht bestellen zu können, wenn nicht das Feindesblut ihre Böden befruchtete und somit reiche Ernte verhieß. Dabei durften es durchaus auch Frauenköpfe sein oder sogar Kinder, so dass im Nagaland niemand die Kinder außerhalb des Dorfes spielen oder ohne Aufsicht ließ. Dieses bedeutete, dass ein Kinderkopf grundsätzlich nur aus einem befestigten feindlichen Dorf erbeutet werden konnte, eine Mutprobe, welche nur wenige Krieger überhaut anzugehen wagten.
Die so hübschen und äußerst scheuen Kinder, denen wir in den archaischen Dörfern begegnen, sind heute Gott sei Dank nicht mehr gefährdet, aber dieses bedeutet nicht, dass die Naga nicht immer noch auf der Hut sein müssen. Zivilisation fordert ihren Preis, das überall anwesende Militär ist dafür bekannt, nicht zimperlich zu sein gegenüber den Rebellen des Nagalandes, und den Rebellen verbietet ihre kriegerische Vergangenheit und ihr Stolz, die Waffen niederzulegen. Aber vom Feiern des Hornbillfestivals hat das Militär die Kriegerischen reihen offensichtlich nicht abhalten können…