Incredible India, ja, das kann man wohl sagen. Blumenmarkt von Kolkata, man denkt an Verkaufsstände voller Rosen, Marigold and Hibiskus, ahnt nicht, dass hier der wohl wildeste Blumenmarkt der Welt pulsiert. Und dann ausgerechnet an einem Mittwoch sind wir hier, wenn alle Hindus Mangobaumblätter für ihre Shivaaltäre kaufen, dazu 108 Grashalme zum Opfern und noch weiteres Grünzeug, um die Götter glücklich zu stimmen. Schon vor der Eisenbahnbrücke sitzen die Verkäufer des endlosen Blattwerkes, zählen ab, bündeln und stören sich nicht am Verkehr, der ihnen die Nasen abzufahren droht. Nasen sind heute sowieso sehr gefährdet, die Gerüche, welche uns bevorstehen, sind nichts für schwache Nerven.
Am Hooghli River, diesem gewaltigen Seitenarm der Ganga, sind die bei Ebbe schlammigen Badetreppen gut gefüllt, unzählige Männer haben sich zur Morgentoilette eingefunden, die Zahnbürste zwischen den Zähnen versuchen sie unter ihren Lendenschurzen die Unterhosen auszuziehen, ohne den Göttern eine Blöße zu zeigen. Übung macht den Meister, nirgends fällt auch nur ein Schatten auf Dinge, welche man verborgen wissen möchte, das Bad nimmt seinen Lauf, die Unterhosen werden gewaschen und gleich wieder angezogen, daneben wäscht ein alter Mann ein riesiges Bündel Betelblätter, deren Verkauf kann also in wenigen Minuten beginnen.
Neben den Badetreppen findet sich eine Sandfläche, welche aber am Mittwoch feucht gehalten wird und somit müssen die Ringer, welche diese Fläche sonst für ihre Übungen benutzen, um den Göttern nicht zu zürnen ihre Künste gleich daneben auf einem dafür eigentlich nicht vorgesehenen Feld verrichten. Da dieses härter ist, werfen sie sich lieber nicht gegenseitig auf den Boden, wir sind trotzdem sehr beeindruckt, vor allem, als ein menschlicher Hanuman eine Keule schwingt, die mit ihren mindestens 20 Kilo unseren Respekt herausfordert. Tatsächlich ist die Kunst der Ringer dem Hanuman als Ausgeburt des Shiva geweiht, Indien ohne Götter? Das geht gar nicht!
Was hat sich Victoria bloß dabei gedacht, die Kaiserkrone Indiens anzunehmen? Aber natürlich hatte sie keine große Wahl, in England dient sie dem Staat zur Zierde, Macht und gar Ablehnung ihrer vom Parlament auferlegten Pflichten kennt sie nicht, und si müht sich die kleine Frau die Kaiserkorne der Moguln in Würde zu tragen. Zu ihrem 50 jährigen Thronjubiläum wurde das Empire überschüttet mit der schweren Denkmalsfigur der ja leider nicht mehr so ganz schlanken Kaiserin. Hier sitzt sie also inmitten der ehemaligen Hauptstadt British-Indiens und tut so, als ginge sie der ganze Verkehr rundherum nichts an. Na ja, sie sitzt ja auch sicher auf ihrem Sockel da oben und hat sich nie wirklich nach Indien getraut.
Anders als ihre unzähligen Subjekte (so nennt man in England die Untertanen ihrer Majestät). Hunderte, ja tausende sind in den Dienst der East-Indian-Company gegangen, haben für diese und später für die offizielle Regierung British-Indiens geschuftet, sind an Malaria oder Heimweh krepiert und wurden für ihre treuen Dienste in eine der malerischsten Winkel der Stadt angesiedelt, dem uralten Friedhof. Einer meiner Lieblingsplätze, strahlt er doch große Ruhe aus, ein seltenes Phänomen in diesem 15 Millionen Einwohner zählenden Moloch. Schon bei meinem ersten Besuch vor zwei Jahren tummelten sich hier die Liebespaare, wieder gelingt es mir, ungewollt ein Pärchen beim Händchenhalten zu stören. Wie gerne würde ich auf diesem maroden Fleckchen Großbritanniens eine bunte Modenschau abhalten, indische Traummädchen in bunten Saris vor diesen morbiden Kulissen, ich sollte Guido Kretschmar anrufen, er wäre begeistert!
Schon nach Hause? Nein, die Kulturpflicht ruft, auf in das wohl beste Museum Indiens mit seinen Traumstücken aus der Gandharazeit. Aber darüber habe ich schon an anderer Stelle berichtet, und nach dieser kulturellen Pause lassen wir es uns nicht nehmen, noch einmal in das wahre Herz dieser irren Stadt einzudringen. Hinter dem Museum lassen wir uns treiben, erleben, staunen, atmen (oder auch mal nicht), bewundern „Traumhotels“ und Kuli- Rikschas, altehrwürdige Muslime und verschleierte Frauen laufen uns über den Weg, Wäsche ziert jeden Zaun, unzählige Ich-AG‘s in Form kleinster Läden säumen die unglaublichen und uralt anmutenden Straßen. Ehemals prächtige Häuser werden nur noch von Luft und Liebe sowie endlosen Reklametafeln zusammengehalten, dagegen könnte man in Kairo fast glauben, in einem Kurort der Oberklasse zu sein.
Art Deko Kinopaläste wechseln ab mit ehemals hocheleganten armenischen Häusern, beim Überqueren der Straße vor der verspielten Moschee setzten wir für heute ein letztes Mal unser Leben aufs Spiele, Kolkata, du hast uns überzeugt. Hier tobt das wahre Leben, wie albern und nichtig sind da unsere Probleme zu Hause. Ich bin ganz sicher, wer als Hindu im letzten Leben Ungutes verbrochen hatte und zur Strafe in Kolkata wiedergeboren wurde, hat damit endgültig alle Sünden abgebüßt. Aber Scherz beiseite, für mich ist Kolkata eine der interessantesten Städte unserer verrückten Erde!