Delhi ist nicht nur die heutige Hauptstadt Indiens, sondern war schon den Tagen der Mogulherrschaft eine der vier wichtigsten Haupt- und Kaiserstädte des Reiches. Babur als erster Kaiser der Moguln auf dem von den Lodiherrschen (nicht freiwillig) verlassenen Thron Nordindiens fand zwar wenig Gefallen an dem riesigen und staubigen Land, aber sein Sohn Humayun ließ keinen Zweifel daran, dass die Moguln ihre neue Herrschaft als Dauerhaft ansahen. Trotz des Interregnums durch Sher Shah konnte Humayun ins Reich zurückkehren, wo sein Sohn zum größten Kaiser der Moguln werden sollte. Sein Name Akbar verhieß bereits die zukünftige Größe dieses wohl intelligentesten Herrschers dieser Dynastie.
Indien war bereits zu Beginn des 11ten Jahrhundert von den Muslimen unter Mahmud von Ghazni teilerobert worden, aber erst unter Qutab id-Din Aybak wurd der Islam zu einem dauerhaften Machtfaktor. Sein Siegeszeichen, das Qutub Minar, ist vielleicht das schönste Monument des anfänglichen Islam in Indien, für mich es auf jeden Fall das schönste Minarett der Welt.
Delhi teilte sich in der Mogulzeit den Rang der Hauptstadt mit Agra, Lahore und für kurze Zeit mit Fatehpur Sikir. In den Mauern ihres großen Forts stand in der Zeit des Shah Jahan der weltberühmte Pfauenthron, die Halle mit der Inschrift „Wenn es das Paradies auf Erden gibt, dann ist es hier, dann ist es hier, dann ist es hier“ hat die Plünderungen des Nadir Shah von Persien überlebt ( der Pfauenthron wurde nach Persien entführt und ist heute in Teilen in der Bank Melli in Teheran zu sehen) und ist allein deswegen und trotz des relativ schlechten Zustandes sehenswert. Aber Agra hat nun einmal dank seiner großartigen Grabmonumente im Großen und Ganzen den anderen Städten den Rang abgelaufen, auch wenn die heutigen Bewohner diese Stadt sehr stiefmütterlich behandeln. Sollte Delhis Rache darin bestehen, noch heute die Erben der alten Kaisergarden vor seinem großartigen Präsidentenpalast auftreten zu lassen?
Natürlich beruht die Berühmtheit Agras einzig und allein auf dem Taj Mahal, aber bevor man sich diesem nähert, sollte man seine Prototypen ins Auge fassen. Während Babur sich mit einem sehr schlicht gehaltenen Grab in Kabul zufrieden gab, sollte die Witwe des unglücklich verstorbenen Humayun keine Kosten, Mühen und persische Vorbilder scheuen, um ihm ein gewaltiges Grabmal am Ufer der Yamuna in Delhi errichten zu lassen. Hier erblicken wir bereits die hoch angelegte Terrasse, die Doppelschalenkuppel und den Paradiesgarten, alles Elemente, die ohne den Aufenthalt Humayuns in Isphahan nicht denkbar wären. Der persische Spitzbogen beherrscht diese Architektur, die verspielten persischen Innenarchitekturelemente, Wandnischen und herrlich gestaltete Decken, die Musikbalkone und die Einlegearbeiten weisen alle auf ihre Heimat jenseits der Wüste Lut hin.
Kaiser Akbar als Sohn des Humayun lässt außerhalb von Agra, ebenfalls am Ufer der Yamuna bei Sikandra (Alexandrien) sein ungewöhnliches Grab errichten. Als dieses 1612 fertig gestellt ist, meint man sich einem indo-sarazenischen Palaste gegenüber, der ohne Kuppel aber mit unzähligen Pavillons im Hindustil ein gar eigenartiges Bild abgibt. Die Anlage ist größer als die des Taj Mahal, der Garten wird heute noch (oder wieder) mit Schwarzrücken- oder Hirschziegenantilopen garniert, die Seitengebäude als Prototypen des Moscheekomplexes am Taj sind wieder in persischer Manier gehalten, ihre Steinmetzarbeiten und die Einlegearbeiten aus schwarzem und weißem Marmor gehören zu den gelungensten Ideen der damaligen Handwerker. Und welch ein Geniestreich, dem nur vom Fluße aus sichtbaren Monument nun noch ein gewaltiges und mit vier Minaretten versehenes Eingangsportal an der alten Heerstraße nach Delhi vorzusetzen, Bescheidenheit war wirklich keine der Tugenden Akbars.
Das wohl zauberhafteste Ensemble einer Mogulgrabanlage aber finden wir in Agra auf der anderen Seite der Yamuna. Hier liegt die Stütze des Staates begraben, Itimad id-Daula, seinerseits Schatzmeister und Finanzminister und eben auch Schwiegervater von Shah Jahan. Mumtaz Mahal scheint ihre ganze Energie und ihren hervorragenden Geschmack in diese Perle der Mogulkunst hineingegeben zu haben, nirgends wird der Reiz, wird die Raffinesse und die Zivilisation des Mogulhofes deutlicher als in diesem bezaubernden Garten mit dem Schatzkästlein der persischen Grabanlage.
Wenn man nun so gut vorbereitet vor der Königin aller islamischen Gebäude steht und nach langen Sicherheitsschlangen endlich die gewaltigen Vor- und Eingangsbauten durchschritten hat, ist man trotzdem und auch noch nach dem zwanzigsten der dreißigsten Besuch überwältigt, der Thron Gottes, die Grabanlage der ob ihrer unglaubliche Schönheit und Anmut gepriesene Mumtaz Mahal, die unter der Doppelschalenkuppel an Seite ihres Fürsten ruht, sucht auf der Welt ihresgleichen. Das vielbesungene Grabmal einer großen Liebe ist nicht nur das edelste Bauwerk der islamischen Welt, es ist auch das ästhetischste architektonische Kunstwerk der Erde.
Würde die Alhambra in Granada oder aber das Taj Mahal in Agra vom Antlitz der Erde hinwegfegt werden, die Erde würde sofort aus dem Lot geraten. Die islamische Welt mit ihren unglaublichen und großartigen Bauten bewegt sich zwischen diesen zwei Säulen der Ästhetik und Menschlichkeit, zwischen ihnen befinden sich die hervorragendsten Schöpfungen dieser durch eine unsichtbare Kraft zu bewundernswerter Größe aufgestiegenen Lehre Allahs und seine Propheten.
Im Roten Fort von Agra kann man sich streiten, ob es sich hier noch um islamische Baukunst handelt, welches ich allerdings bejahen würde. Die Moguln, aus ihrer Urheimat, der Mongolei, aufgebrochen, sind sich immer ihrer Nomadenherkunft bewusst geblieben und haben sich statt Zelt und Jurte aus Teppich, Filz und Stoff in Delhi, Agra und Lahore eben zu Stein gewordenen Zelte erbaut. Ihre Pavillons wären noch heute mein Traum von „Schöner Wohnen“, wie gut, dass ihr große Kunst wenigstens in Form von Edelsteinen und Teppichen auch bei uns Einzug halten durfte.
Wie oft hatte ich schon das große Vergnügen, interessierte Reisende durch diese paradiesischen Anlagen führen zu dürfen. Und wie oft wird es mir noch vergönnt sein, wieder hierher zurückzukehren. Indien, Mon Amour, Du bist und bleibst für mich die Schönste!