Wie stellt man sich einen fast verlassenen Walfängerort vor? Sicher anders als Grytviken. Schrott, mehr Schrott, alte Kessel, kaputte Maschinen, verrostete Schiffe, Harpunenreste und dazwischen endlose Pelzrobben und junge See-Elefanten, ein paar Königspinguine und ein Rahmen aus bemoosten und sonst schroffen Bergen, eine spiegelglatte Bucht mit einem roten Versorgungsschiff an der Armeestation der Engländer, ein kleines Museum und eine über hundert Jahre alte Kirche, das ist die Hauptstadt von Südgeorgien. Riesige Kessel in denen einst das Walöl gehortet wurde, gewaltige Aufbauten zum verkochen und auspressen des Walfettes, zerbröselnder Rost in Anlagen, die Teils gerade mal 50 Jahre alt sind, kleine Heuler wälzen sich im Roststaub, liegen auf Betonplattformen, umschwimmen drei zerstörte Anlegestellen. Aggressiv sind die Robbenmütter auch hier während die schweren Jungbullen der See- Elefanten träge über- und nebeneinander im Gras liegen und rülpsen, manchmal schwer aneinander geratend, brüllend und ihre roten Mäuler aufreißend. Ihre Rüssel sind noch nicht weiter entwickelt, machen sich allenfalls leicht bemerkbar, wenn die Bullen wütend werden und ihr Zähne zeigen. Für Menschen scheinen sie sich absolut nicht zu interessieren. Im kleinen Bachlauf unterhalb des Friedhofes steht eine kleine Kolonie der Königspinguine etwas verlassen im Wasser, der Friedhof wirkt wie ein kleiner Ort verlassener Seelen, Heimatloser irgendwo am Ende der Welt. Wären Frank Wild und Ernest H. Shackleton hier nicht begraben, würde sich niemand die Mühe machen, den Ort aufzusuchen. Oberhalb am Hang steht ein Kreuz für den dritten Offizier W. Slosarczyk des Polarschiffes Deutschland, welche hier 1911 gelandet sein muss. Die Kirche schlicht, 2013 feierte sie den hundertsten Geburtstag, kein Pastor, der sich um dieses Kirchlein am Ende der Welt noch kümmert, sicher hat sie mehr Beerdigungen als Taufen oder gar Hochzeiten gesehen.
Grytviken, ich hatte viel von dir gehört, aber die Wirklichkeit hat mich eher traurig gestimmt. Du hast mir nicht gefallen, auch wenn ich dich interessant fand. Aber irgendwie störst du diese unglaublich schöne und sonst doch fast überall ungestörte Natur, bist ein Eingriff, der schmerzt. Was mögen es für wilde Männer gewesen sein, die in deinen Hütten Arbeit und Zuflucht suchten, eine raue Männergesellschaft am südlichen Ende der Erde. Ich glaube zu spüren, dass es hier mehr Streit als Harmonie gegeben hat, für sensible Seelen hattest du keinen Platz. Also ziehen auch wir weiter und freuen uns auf den sogenannten Gold Harbour, auch wenn das Gold dort eher wieder aus den Wundern der Natur besteht!
Und da hat man geglaubt, es gäbe zu den Salisbury Plains keine Steigerung mehr. Irrtum, die Bucht von Gold Harbour übertrifft alles Gesehene. Und da das Wetter einfach ein Traum ist, die Bergspitzen unter der Schneelast leuchten und der Gletscher über dem Pinguinstrand ab und zu mit lauten Getöse kalbt, kann das Leben nicht schöner sein. Kaum sind wir angelandet, versperren uns riesige Jungbullen der Gattung See-Elefant den Weg, wir sind umzingelt von Königspinguinen und können nach ungefähr 250 Metern vor lauter Pinguinen nicht weiterkommen. Dicht gedrängt stehen tausende der hübschen Könige am Strand, stolz ihre orange Farbe präsentierend, einherschreitend wie echte Royals, in Frack aber erstaunlicherweise ohne Zylinder.
Auch hier sind die Jungtiere in den unförmigen braunen Pelz gekleidet, schreien erbärmlich um Futter, welches die ungeduldigen Mütter dann herauswürgen müssen. Der kleine Bach und die See, die Leiber der See-Elefanten, alles ist voller Federn, die Mauser ist hier weit fortgeschritten, die meisten Tiere treten sehr ordentlich und herausgeputzt auf. Wer aber bei den See-Elefanten auf action wartet, macht sich vergeblich Hoffnung, die großen Bullen sind schon längst wieder auf Tournee und die am Strande faul herumliegenden Tiere haben keine Lust zu kämpfen, wälzen sich träge im Sand und werfen ab und zu eine Flosse dunklen Sandes über sich.
Grunzlaute und schnottige Nasen sind die einzigen Merkmale dieser Kolosse, gelbgold bis dunkelbraun heben sie sich kaum vom Sand ab. Manchmal robbt ein Riese in Richtung Pinguinkolonie und erschreckt die vornehmen Herrschaften, aber nach ein paar Metern schläft der unruhige Koloss gleich wieder ein. Es dürfte wenige Plätze auf der Welt geben, wo man mit solch unzähligen Tieren alleine sein darf, wo man sich der Natur so hingeben, sich an ihr so erfreuen darf. Ein wunderbarer Morgen.
Godwanaland ist uns für den Nachmittag angekündigt, im Drygalski Fjord finden wir den ältesten Teil des südgeorgischen Archipels. Um dorthin zu gelangen, genießen wir bei blauem Himmel den Blick auf die schneebedeckten Berge, Eisberge besuchen die Küsten, das Einbiegen in den angebotenen Fjord ist sensationell. Dank der 7 Windtsärken können wir nicht wie geplant in der Cooper Bay auf Suche nach den Goldschopfpinguinen gehen, aber dafür entschädigt man uns mit einem Zodiakausflug zum Gletscher am Ende des Fjords.
Blau-grau und Grellweiß geben sich die zackigen Wände, Säulen stehen schräg gegen den Himmel, dicke Schneedecken bedecken die pyramidenförmigen Berge und die ersten Wedell-Robben mit ihrem hellen Fleckenkleid besetzen träge ein paar Felsen. Antarktische Seeschwalben und Schneevögel schwirren durch die Luft, kleine Eisstücke, abgebrochen von den drei Gletschern die in den Fjord münden, sind unterwegs und auch hier bricht ein Teil der Eiswand krachend in das eiskalte Wasser. Die Bremen liegt stolz inmitten dieser eisigen Pracht und was immer wir richtig gemacht haben, der liebe Gott und unser Kapitän haben uns heute unglaublich reich dafür belohnt!